Am 15. Juni 2008 verstarb in Soest im Alter von 80 Jahren unser Saazer Landsmann Erich Henschel. In Erich verliert unser Kulturkreis und darüber hinaus die gesamte Landsmannschaft einen unermüdlichen, plastischen Schilderer von heimatlichem Leben und heimatlicher Geschichte und einen aufrechten Streiter für die Wahrheit über die Vertreibung.
Erich Henschel wurde am 23. August 1927 in Saaz geboren. Er erlebte wie nur wenige aus der letzten sudetendeutscher Generation mit einem beeindruckenden Gedächtnis für Detauls intensiv die Jugend im Saaz der deutschen Endzeit. In dieser Endzeit besuchte er un unserer Heimatstadt die Volks-, Bürger- und Wirtschaftsoberschule.
1944 wurde er zum Reichsarbeitsdienst eingezogen, im Januar 1945 zur Luftwaffe. Er geriet als Fallschirmjäger mit 17 Jahren in Gefangenschaft. Als Kriegsgefangener verbrachte er 1 ½ Jahre in Belgien. 1946 wurde er zu seiner nach Wolnzach in der Hallertau vertriebenen Mutter entlassen. 1947 verlobte er sich mit der Landsmännin Erika Allert, seiner späteren Frau, mit der er noch bei den Eltern 1949 Hochzeit feierte.
Von 1948 bis 1950 war Erich Henschel im Depot Ansbach des US-Konzern EES (European Exchange System), einem Unternehmen für Truppenversorgung in Europa beschäftigt. 1950 übernahm er die Leitung eines amerikanischen Kaufhauses in Zweibrücken/Reinpfalz. Von 1964 bis 1969 arbeitete er als Manager eines kanadischen Militär-Kaufhauses in seinem letzten Wohnort Soest. Hier war er 21 Jahre, bis 1990 Betriebsleiter und Werbeleiter eines SB-Warenhauses.
Erich war schon in Saaz kulturell sehr interessiert und auch ständiger Besucher des Stadttheaters, eines Horts bürgerlich-deutschen Kulturerbes, eines der ältesten festen Theater von ganz Böhmen. Eigenes Theater-Erleben und intensives musisches Gedächtnis schlugen sich nicht nur in Erichs beiden Saaz-Büchern, sondern auch direkt in vielen Artikeln nieder und machten seine Darstellungen besonders plastisch und authentisch. Er hatte selbst auch musisches und literarisches Talent und begann als Autor von Kinderbüchern. Von diesen birgt die Deutsche Nationalbibliothek das Buch „Der Schatz im Mönchswald“ (1980) und „Die Gefahr in der Totengruft“ (1982). Sie offenbaren Erichs Schreibtalent, das dann auch in seinen für die vertriebenen Saazer wichtigsten Publikationen zum Ausdruck kommt – den beiden Büchern mit den Erinnerungen an die neuere, von unserer Vätergeneration und uns erlebte Geschichte von Saaz : das umgehend vergriffene 252seitige, in ansprechender Aufmachung erschienenen „Buch von Saaz und dem Saazer Land“ und das stärker als Erinnerungswerk fungierende Buch „Schöne Jugendzeit in Saaz“ (256 Seiten).
Daneben schreib Erich um die 300 Beiträge, darunter auch Gedichte, für den „Heimatbrief Saazerland“. In Selbstverständlichkeit waren hier volkstümliches Erleben und klar argumentierende politische Meinung ohne Hintertürchen stets zu einer Einheit verwoben. Alles, was er schrieb, fügte sich in sein Bild.
So wirkte Erich Henschel auch schon frühzeitig für die Sudetendeutsche Landsmannschaft und im Kampf gegen historische Verbiegungen. Ihm waren Lüge und Halbwahrheit, die Hauptformen von Manipulation und Geschitsklitterung, bis zu seinem Ende verhasst.
Ein Höhepunkt von Hentschels Arbeit im Dienste der Vertriebenen, der Vertreibungsgeschädigten und Vertreibungsopfern des Saazerlandes- und somit im Dienst der lauteren, nüchternen, unerbitterlichen Wahrheit- war die präzise Erfassung der Opfer der Mordorgien nach dem Sieg der Alliierten und der sich viel schlimmer gebärdenden Nutznießer fremder Tapferkeit, der entfesselten Horden fremder, im Saazerland vorher nie ansässiger Tschechen, die, wie mehrfach auch anderswo belegt, oft schlimmer hausten als sowjetische Kampftruppen und die mit Hilfe Stalins ihre eigene Beute für immer beanspruchten.
Hentschels unermüdliche Recherchen bedingten einen unvergleichlichen, kräftezehrenden Briefwechsel zur Erschließung harter, unwiderleglicher Hakten. Seine akribische Recherche förderte exakte Ergebnisse zutage, die man sich angesichts der Quellenlage nicht hatte vorstellen können. Zugleich behinderten eben diese Ergebnisse ärgerlich eine sukzessive Umdeutung der Geschichte, Den Denkpolizisten war ein dunkles Ungefähr- Gerede über Opfer weit nützlicher, und dies gemäß der Denkschablonen möglichst unter Voranstellung von Zahlen, die weder mit Saaz nicht mit Vertreibung zu tun hatten. So blieb es nicht aus, dass Erich auch auf Widerstand eigener Landsleute stieß, welche den neueren Denkvorschriften gemäß inzwischen wendig zur „Anerkennung der Realitäten“ umgeschwenkt und zum weitgehenden Verschweigen aller Vertreibungsverbrechen und –Probleme übergegangen waren- nachdem sie fast jahrzehntelang Parolen über den „Deutschen Osten“ mehr als nur mittrugen.
Das Ergebnis von Erichs jahrelangen, unvorstellbar schwierigen und auftreibenden Nachforschungen, das Saazer Opfermemorial als Liste von Toten wurde 1995 erstmals in einer Sondernummer des „Heimatbrief Saazerland“ publiziert. Eine überarbeitete und weiter präzisierte Fassung erschien ein Jahrzehnt später und der Titeln „Genozid“ und wurde weit über unseren Heimatkreis hinaus bekannt.
In seiner Arbeit für die neuere Saazer Geschichte, speziell hinsichtlich der Lasten der Vertreiber, bleibt Erich Hentschel beispielgebend. Er war tapfer. Er ließ sich nie durch den Zeitgeist verbiegen. Er war kein Angepasster, kein Leisetreter. All die Hasenfüße, die Liebediener und stromlinienförmigen Versöhnler, welche die Semantik des Wortes Versöhnung ignorierten und ignorieren, hat er allein durch seine schreibende und mit exakten Fakten argumentierende Gegenwart beschämt. Sie konnten, oft selber würdelos, ihm nicht das Wasser reichen. Geschichtsklitterer, Fälscher, Manipulierer, Lügner durch Halbwahrheiten hat er zum Verstummen gebracht. Ärgerlich oder auch mit heimlichem Respekt mussten sie seiner Arbeit Anerkennung zollen oder sie zumindest akzeptieren.
Neben seiner Tätigkeit für die geliebte Heimat, das Saazerland, war Erich Hentschel auch in seiner letzten Wohnstätte, die er in Grimmelshausens Stadt Soest fand, äußerst aktiv und über unsere Region hinaus wirksam und bekannt. Seine dortigen Verdienste werden an anderer Stelle aus berufenem Munde gewürdigt.
An den Auseinandersetzungen im Kulturkreis Saaz im Gefolge der Unterwanderung des Kulturkreises, der gemäß Satzung der „Sammlung und Bewahrung jeglichen Kulturgutes der Stadt Saaz“ dient, durch historisch wenig Kundige und Nichtvertriebene, die an böhmendeutscher Kulturgeschichte im Grunde nicht interessiert sind, hat Erich Hentschel als aktives Mitglied mit Ratschlägen deutlich Position für die Wahrheit bezogen.
Nach langer und intensiver Arbeit erlag Erich Hentschel paradoxerweise gleichsam den Folgen verdienter Erholung. Nach einer größeren Auslandsreise begann er einer offensichtlich tückischen Infektion schwer zu erkranken. Eine Lungenentzündung führte am 15.Juni 2008 zum Tod unseres Freundes, Landsmannes und tapferen Kämpfers.
Mit Erich Hentschels Tod verlieren nicht nur drei Töchter und vier Enkel ihren Vater und Großvater. Die Landmannschaft der Sudetendeutschen und der Kulturkreis Saaz verlieren in ihm einen der entschiedensten Erben und Bewahrer und regionalen Überlieferer sudetendeutscher Kulturgeschichte und zugleich den furchtlosen Streiter für Wahrheit über die Vertreibungsverbrechen aus der speziellen Perspektive von Saaz und der Saazer Region.
Nur wenige unter den Saazer Landsleuten reichten und reichen an Erich Hentschels Leistungen für die Heimat heran. Nur wenige suchten wie er so unerbittlich und ohne Furcht vor Denunziation und Verleumdung nach Wahrheit. Sein Erbe mahnt als Vorbild für aufrechten Gang in einer Gesellschaft, die wie es der Franzose Tocqueville bereits im 19. Jahrhundert voraussah, zunehmen geistiges Leben, geistige Freiheit erstischt.
26. Juni 2008 Kulturkreis Saaz e.V.
Dr. Josef Kurz