von Hans Nowak
„Eine hübsche feste Stadt, wehrhaft auf einem Berge gelegen“, so beschreibt Johannes von Saaz – der Dichter des „Ackermann aus Böhmen“ – in seinem Streitgespräch zwischen dem Ackermann und dem Tod im Jahre 1400 seine Stadt. Durch die Lage im fruchtbaren Saazer-Becken, welches im Norden vom Erzgebirge, im Westen vom Tepler-Duppauer Gebirge, im Süden vom Krug-Wald und im Osten vom Böhmischen Mittelgebirge geschützt wird, wurde die Saazer Schotterplatte schon früh besiedelt. Vor 30 Jahrtausenden waren es Fischer und Jäger, vor 5 Jahrtausenden die ersten Bauern, deren Volkszugehörigkeit man nicht kennt. Dann kamen die keltischen Bojer und später die Germanen, die hier über ein halbes Jahrtausend lebten. Es war beinahe selbstverständlich, dass die Slawen vom Stamme der Lutschanen, als sie im 6. Jahrhundert nach Westen vorgestoßen sind, dort ihren Hauptort Lutschko und eine mit Palisaden befestigte Burg errichteten. Die nach drei Seiten abfallenden Steilhänge bilden, wie die Eger mit ihren Seitenarmen, einen natürlichen Schutz.
Dass der Ort schon frühzeitig eine große Bedeutung hatte, beweist die Urkunde des Herzog Boleslaw II. aus dem Jahre 973, mit der er Satcensis, also Saaz, zum Sitz eines katholischen Dekanats erhebt. Als 106 Wratislaw II. Herzog wurde, schloss er mit dem deutschen Kaiser Heinrich IV. einen treuen Waffenbund, wofür ihn dieser zum ersten König von Böhmen erhob.
In Saaz blühten Handel und Handwerk auf, doch befand sich der Handel mehr in den Händen von Deutschen, die in das Land kamen. Aber erst unter König Przemysl Ottokar I. setzte ab 1197 eine starke Einwanderung von deutschen Handwerkern, Kaufleuten und Künstlern ein. Sein Sohn, König Wenzel I., setzte die deutsche Kolonisation kräftig fort. Zu dieser Zeit wurde Saaz eine der zwölf Kreishauptstädte in Böhmen und Sitz eines Archidiakons, welchem die Dekanate Saaz, Elbogen, Luditz, Kaaden und Tepl unterstanden. Auch erhielt es sein Stadtwappen, welches die Stadtmauer mit drei Türmen zeigt, über dem mittleren befindet sich das böhmische Wappen mit dem Löwen.
Die deutschen Kaufleute und Handwerker, die bald zu Wohlstand kamen und ihre Häuser vor der Burg bauten, errichteten um ihre groß gewordene Siedlung eine gewaltige Mauer mit Tortürmen. Sie durften nach „deutschem Recht“ leben. Schon Wratislaw erklärte in einem Privileg die Deutschen als „Freie“.
Im Jahre 1206, am Tage „Maria Himmelfahrt“, wurde der Grundstein zur Archidiakonats-, zur Saazer Stadtkirche gelegt. Ab 1270 übernahmen die Prämonstranenser, mit kurzen Ausnahmen bis zur Vertreibung, die Seelsorge. Im Jahre 1256 wird die Saazer Lateinschule nach deutscher Art gegründet und ist neben der Prager Domschule die älteste in Böhmen.
Nachdem sich König Przemysl Ottokar II. persönlich vom Aufschwung und der Würdigkeit der Stadt Saaz überzeugt hat, gewährt er, bzw. bestätigt er ihr 1266 wichtige Privilegien, so die Gerichtsbarkeit, das Verbot von Schankstätten im Umkreis, den Straßenzwang über Saaz, das Marktrecht, usw.
Um 1300 war Saaz bereits eine mächtige deutsche Stadt und hatte neben der Hauptpfarrkirche noch 9 Pfarrkirchen und 5 Kapellen. Die obere Vorstadt erhielt eine weitere Stadtmauer. 1362 wurde der Bau des Rathauses beschlossen. 1383 wird der Magister, Humanist, lateinischer und deutscher Schriftsteller, Komponist, Kunst-schreiber und Buchmaler Johannes, Stadtschreiber, Notar, Kirchenmusiker und Schuldirektor in Saaz. Im Jahre 1400 schreibt er seinen „Ackermann aus Böhmen“, das erste Prosawerk in neuhochdeutscher Sprache, ca. 100 Jahre vor Luther.
Mit dem Weinbau wurde in Saaz um die Jahrtausendwende begonnen. Den Hop-fen kultivierten die deutschen Siedler. Jeder Saazer Bürger, der innerhalb der inneren Stadtmauer ein Haus besaß, durfte Bier brauen. Doch bestand auch schon eine Gemeinschaftsbrauerei, in der das berühmte Saazer Bier „Sametz“ hergestellt wurde. Um das Brauen zu erleichtern, wurde bereits 1386 eine Wasserleitung gebaut.
Über die bestimmt großen Veränderungen durch die Hussiten in Saaz wissen wir kaum etwas. Es ist anzunehmen, dass die wohlhabenden deutschen Bürger ab 1412 die Stadt verließen, die anderen sich zum Hussitentum bekannten, wie es auch zwei deutsche Priester getan haben. Es bildete sich der Saazer Landsturm, der an allen Hussitenschlachten beteiligt war. Saaz wurde die „Sonne der Hussiten“. Zu dieser Zeit hielt sich mehrmals auch der Hussitenführer Zizka dort auf.
Der Handelsverkehr Europas von Norden nach Süden und von Westen nach Osten ging an Saaz und der böhmischen Grenze vorbei; Saaz entwickelte und vergrößerte sich über Jahrhunderte nicht mehr.
Nach der königslosen Zeit und dem Tode des königlichen Kindes Ladislaus, wur-de 1458 Georg von Podebrad König. Er befriedete Böhmen und war den Städten freundlich gesinnt, doch Saaz musste er zur Unterwerfung zwingen. Die Stadt gab ihre Gegnerschaft auf und bekam ihre alten Privilegien bestätigt, auch den Zoll für Holzflößerei auf der Eger. Trotzdem konnte sich die Stadt nicht entwickeln, die Macht hatte der Adel.
Die Lehre Luthers kam früh nach Saaz, eine große Anzahl Bürgersöhne reiste nach Wittenberg; die Stadt und ganz Böhmen wurden lutherisch. Dem geistlichen Austausch mit dem Reich folgte der wirtschaftliche Aufschwung. Durch die Silberfunde im Erzgebirge wurde das Gebiet nicht nur von deutschen Bergleuten besiedelt, es kamen auch Handwerker und Geschäftsleute. Stefen Schlick prägte in Joachimsthal Silbermünzen mit seinem Bilde (Taler-Dollar) und wurde sehr reich. Dieser Auf-schwung kam auch der Stadt Saaz zugute. Handel, Gewerbe und Landwirtschaft fanden im Gebirge Absatz.
In Deutschland spitzte sich die Lage zwischen Katholiken und Lutheranern zu. Kaiser Karl V. führte 1547 ein Heer gegen die Protestanten. Sein Bruder Ferdinand, König von Böhmen, sollte ihm zu Hilfe kommen. Die Saazer bewilligten nur widerwillig Truppen und Geld. Als der König mit seinem Heer in der Stadt übernachten wollte, ließen die Bürger ihn wissen, dass sie nur den König mit seiner persönlichen Beglei-tung, aber nicht sein Heer, einlassen wollten. Als der König nach der siegreichen Schlacht gegen die Schmalkaldener zurückkam, hat er dafür die Saazer schwer bestraft. Sie mussten 8000 Schock Meißner Groschen zahlen, alle Tore niederreißen, ebenso die Festungsmauer daneben auf zehn Klafter Länge.
Alle Güter und Einkünfte der Stadt, sowie die Zölle fielen an den König. Die Selbstverwaltung, Gerichtsbarkeit und alle Rechte gingen verloren. Schon nach einigen Jahren erholte sich Saaz vom tiefen Fall. Ferdinand I., der auch deutscher Kaiser wurde, zeigte sich als gnädiger König und gab bis 1565 nach und nach alle Rechte zurück. Saaz war um 1600, trotz der unsicheren politischen Zustände und dem Nachlassen des Bergbaues im Erzgebirge, in guter finanzieller Lage.
Jakob Straho schuf einen neuen Schulplan „Schola Zatencensis“, den die Prager Universität 1586 und nochmals 1600 drucken ließ und der für alle Gymnasiallehrer verbindlich war.
Im Dreißigjährigen Krieg 1618 – 1648 zählten die Saazer wieder einmal zu den Gegnern der Habsburger. Nach der Schlacht am Weißen Berg und der Flucht des „Winterkönigs“ wurde auch Saaz von den kaiserlichen Truppen besetzt. Die Bürger mussten sich unterwerfen. Alle gemeindeeigenen Dörfer, Häuser, Gelder, Güter, Zölle, Mühlen usw. wurden eingezogen.
1622 mussten lt. kaiserlichem Edikt die protestantischen Priester die Stadt verlas-sen. Im Jahre 1628 war das „Katholischmachen“ so weit durchgeführt, dass die Stadt ihre Privilegien und Besitzungen zurückerhielt. Während des Dreißigjährigen Krieges wurde Saaz durch sächsische, später schwedische Truppen, zuletzt unter General Wrangel, besetzt und geplündert. Was noch vorhanden war, nahmen zum Schluss die Bayerischen und kaiserlichen Soldaten mit.
Die Notlage der Stadt war sehr groß, nur sehr langsam ging es wirtschaftlich aufwärts. Die Eisgänge 1650 und 1655 richteten großen Schaden an den Mühlen, der Wasserleitung, den Hopfenstangen und den Brücken an.
Im Dezember 1783 wütete ein großer Brand, der viele Häuser in der Schulgasse, auf dem Florians- und Lorettoplatz vernichtete. Auch die gotischen Türme, das Dach und die große Glocke der Stadtkirche fielen dem Feuer zum Opfer. Beim Wiederauf-bau standen die berühmtesten Baumeister in Böhmen, Diezenhofer und Brogglio, mit Rat zur Seite, so dass das Stadtbild schon frühzeitig ein barockes Aussehen bekam.
Zu dieser Zeit war Saaz, trotz der strengen Gesetze gegen die deutsche Sprache, von den Handwerkern und dem Mittelstand her wieder deutsch. Die Siege unter Karl VI. gegen die Türken und Franzosen durch Prinz Eugen, brachten auch für die Stadt Saaz einen wirtschaftlichen Aufschwung. Unter Maria Theresia hatte der Saazer Kreis noch eine Ausdehnung von der bayerischen Grenze im Westen bis zum böhmischen Mittelgebirge, vom Erzgebirgskamm bis zum Pilsener-Rakonitzer Kreis im Süden. Doch unter der französisch-bayerischen Besetzung hatten die Saazer bald wieder zu leiden. Nach deren Vertreibung spürte die Stadt nur wenig vom Erbfolgekrieg, profitierte sogar davon, weil sie bei der Aufrüstung gegen Friedrich II. zur wichtigsten Garnison wurde.
Im November 1762 wurde Saaz vom preußischen General Kleist mit 4000 Mann belagert und gestürmt; doch beendete der Friede von Hubertusburg den Siebenjähri-gen Krieg und das Leid der Bevölkerung. Die Reformen unter Maria Theresia und Josef II. (1780-1790) wirkten sich auch für Saaz und auch auf den Hopfenhandel aus.
1767, 1784, 1788 und 1794 wurde der Ort wieder von großen Bränden heimgesucht, wobei 1788 allein 332 Häuser und Scheunen niederbrannten sowie Stadtkirche und Rathaus beschädigt wurden.
Als sich um 1800 in Europa Ereignisse von großer Tragweite vollzogen, waren die Saazer Bürger ganz von ihren eigenen Problemen eingenommen. Es ging um den Neubau der Bürgerlichen Brauerei und die Neuerrichtung des Gymnasiums. Unter dem Kreishauptmann Wussin 1820 und Baron Schönau ab 1823 erfuhr die Stadt eine große Verschönerung, sie wurde mit einem Ring von Parkanlagen umgeben. 1848 baute sich die Bevölkerung ihr Stadttheater, von der Revolution merkte man nur wenig.
1856 wird Saaz an das Telegrafennetz angeschlossen; 1857 wird das Krankenhaus gebaut.
Der Hopfenhandel wird weiter ausgebaut und 1860 gibt Dr. Seifert die Zeitschrift „Der Hopfenhandel“ heraus.
Um 1870 beginnt in Saaz die Gründerzeit. Neben dem bereits bestehenden Ge-sang- und Musikverein wurden die freiwillige Feuerwehr, der Kredit- und Hypothekenverein – aus dem die städtische Sparkasse wurde – und die Gasanstalt, sowie die Zuckerfabrik gegründet. Das Bahnhofsgebäude konnte Seinen Betrieb aufnehmen, der israelische Tempel und die Kirche am neuen Friedhof konnten eingeweiht werden.
Saaz wurde Eisenbahnknotenpunkt und mit den wichtigsten Handelsplätzen Wien über Prag, Nürnberg über Eger, Berlin über Teplitz-Dresden und München über Pil-sen-Regensburg direkt verbunden. Die Industrialisierung setzte ein: Kröbl errichtete eine moderen Kunstmühle. Schöffl gründet eine Kartonagenfabrik, die spätere Lüdersdorfer, die Drahtstiftenfabrik Telatko und die Hufnägelfabrik Mustad entsteht, die Firma Bechert eröffnet ihren Betrieb, wie auch die Lederfabrik, die erste Saazer Kon-servenfabrik, die Drahtseilfabrik Reimann, die Schuhfabrik Humanic, die Pianofabrik Sieber und auch die Dietersdorfer Filzfabrik. Um die Jahrhundertwende ist Saaz also auch Industriestadt. Das Handwerk steht in allen Sparten in Blüte. Die Verlagsanstal-ten und Druckereibetriebe sind von Bedeutung. Zwölf Banken und Kreditinstitute sind ansässig. Saaz ist die Weltstadt des Hopfenhandels.
Das Schulwesen ist von großer Bedeutung. Ende des 19. Jahrhunderts werden die 1. Volks- und Bürgerschule, die 1. Hopfenbauschule am Kontinent, später das Staatsobergymnasium, die Handelsschule und die zweite Volks- und Bürgerschule, gebaut. In dieser Zeit entstehen weitere wichtige Gebäude: Die evangelische Christuskirche, das Bezirkssiechenhaus, die Staatsbank, die erste Saazer Genossenschaftsbrauerei Urstoff, die Hopfensignierhalle und viele private Hopfenmagazine.
Das Vereinsleben ist vielfältig, es bestehen ca. einhundert angemeldete Vereine. Von Bedeutung waren der Gesang- und Musikverein 1854, die Liedertafel 1891, der Veteranenverein, die Schützen, der Bezirks-Lehrerverein und nicht zuletzt der „Stadt Saazer Hopfenbauverein“.
Auch das Kulturleben war sehr rege. Im Stadttheater wurden hauptsächlich Ope-retten gespielt, doch Oper und Schauspiel hatten auch ihren Platz. Neben der Saazer Philharmonie bestand der Kammermusikverein, es gab eine Schützenkapelle und die Jugendkapelle. Der Komponist und Verleger Hermann Josef Schneider schrieb den weltbekannten Marsch „Mein Herz, das ist ein Bienenhaus“. Rudolf Quoika Mes-sen, Motetten, Kantaten usw. für Orgel und Chor.
Es bestand die Loge „Kette zur Freiheit“. Die Schlaraffia hatte ihr „Reych Saazia“ gegründet. Saaz hatte auch eine städtische Musikschule.
In die Zeit vor dem ersten Weltkrieg fällt auch die Gründung einer eigenen Sekti-on Saaz des deutschen und österreichischen „Alpenvereines“. Die meisten Grün-dungsmitglieder waren vorher schon bei den Sektionen Teplitz, Prag oder Karlsbad. Ihr erster Vorsitzender war der Zahnarzt Dr. Edmund Nohel. Die Sektion zählte bald 90 Mitglieder.
1914 fielen die Schüsse in Sarajevo! Auch die Stadt Saaz und ihre Menschen hatten Opfer zu bringen. Das Ende war bitter. Die Deutschen in Böhmen wurden in einen Staat gepresst, den sie nicht wollten. Trotz vieler Widrigkeiten blieb Saaz eine deutsche Stadt, in der man gut leben konnte. Das Kultur- und Vereinsleben ging in der gewohnten Weise weiter. Es entstanden die Jugendbewegungen: Die Wander-vögel, die Jungturner und andere.
1933 hielt der Deutsche Turnverband sein Verbandsturnfest in Saaz ab. Die ca. 20.000 Einwohner zählende Stadt bekam 40.000 Gäste. Dies war nur vor der Hop-fenernte möglich, da die meisten Turner in den leeren Hopfenmagazinen Unterkunft finden konnten. Beim Höhepunkt des Festes, dem Aufmarsch auf dem Ringplatz, verlas Konrad Henlein ein Manifest, das die Sudetendeutschen zur völkischen Sammlung aufrief.
Es kam der 2. Weltkrieg, dessen Ende für die Saazer Bevölkerung besonders schlimm war. Am 10. Mai 1945 waren die Russen in Saaz. In der Nacht gab es Morde, Selbstmorde, Raub und Vergewaltigungen. Am Sonntag, dem 3. Juni 1945 wurden alle Männer zwischen 15 und 65 Jahren von den tschechischen Swoboda-Truppen nach Postelberg getrieben und verschleppt. Es gab ungefähr 800 Tote, die anderen Männer wurden in die Sklaverei abgeführt, nur wenige kamen zurück.
Die übrige Bevölkerung wurde in Lagern untergebracht. Schon Ende Juni 1945 begannen von dort aus die ersten „freiwilligen“ Aussiedlungen der Saazer, die vollkommen mittellos und ihrer ganzen Habe beraubt, ausgetrieben wurden.
Das deutsche Saaz hat aufgehört zu existieren.