Die grauenvollen Tage von Saaz und Postelberg, wo ich Schrecken und Gewalt erlebte, sowie Mord und Totschlag
Von Herrn Gerhard Skalla aus Saaz, Dorndorfergasse 96, als Zeitzeuge
Blick auf den Postelberger Kasernenberg (ca. 1837 von E.E. Kutschera)
9. Mai 1945
Meine Heimatstadt Saaz wurde in den Morgenstunden von der Roten Armee besetzt. An den darauf folgenden Tagen, stetige Vergewaltigungen und Plünderungen durch russische Besatzer. Zahlreiche verzweifelte Frauen und Männer gehen in den Freitod.
3. Juni 1945
Unsere Haustüre wurde durch tschechische Staatspolizei (SNP) gewaltsam geöffnet. Sie brüllten, dass sich alle deutschen Männer zwischen 15 und 65 Jahren umgehend auf den Ringplatz einzufinden hätten und an einer weißen Armbinde mit dem Buchstaben N für Ner-nec=Deutsch zu erkennen sein müssten. Mein Vater, Jahrgang 1895, Fleischhacker und ich, Jahrgang 1929, Schüler, erreichten um 08:00 Uhr früh den Marktplatz und sahen dort bereits ungefähr 3000 Buben und Männer versammelt, die von berittenen Tschechen mit Lederpeitschen traktiert und in langen Reihen aufgestellt wurden.
Um 09:00 Uhr mussten wir uns in Bewegung setzen. Sie trieben uns bis zum nördlichen Stadtrand. Dort wurde uns alles was wir bei uns hatten abgenommen. Dann ging es bei sengender Sonne ab in Richtung Postelberg. Das ist eine kleine Stadt an der Eger. Bei diesem Marsch fielen besonders schwache und ältere Menschen zu Boden. Sie wurden durch Genickschüsse umgebracht und in die Straßengräben geworfen. In Postelberg angekommen, wurde wir in die dortige Kavalleriekaserne verbracht und mussten uns auf den Boden setzen. So haben wir die erste Nacht verbracht.
4. Juni 1945
Früh am Morgen, wir waren noch ganz steif durch die Nachtkälte, wurden wir durch lautes Schreien und Befehle zum Aufstehen, dann schon wieder zum Setzen geweckt. Das ging den bewaffneten Peinigern anscheinend zu langsam und sie schossen mit Gewehren in unsere Menge. Hierbei wurden einige der Männer schwer verletzt und sie mussten von einigen von uns in die nahen Splittergräben getragen werden. Dort wurden sie brutal durch MP-Salven erschossen. Nachmittags und abends mussten wir alle einige Laufrunden über den Kasernen-platz laufen, durch Peitschen und Gewehrkolbenschläge immer wieder angetrieben. Dabei mussten wir Nazi-Lieder singen. In der Zwischenzeit wurden viele geschundene Männer zusätzlich mit LKWs vom Saazer Gerichtsgefängnis gebracht, ausgeladen und in einen großen Stall eingesperrt. Dieser Stall war mit Stacheldraht abgesichert.
5. Juni 1945
Beginnende Selektionen der deutschen Männer. Soldaten, die im Osten eingesetzt waren, wurden brutal geschlagen. Sie mussten genau wie unzählige andere Personen sich abgesondert seitlich der Tische der Verhörer aufstellen. Als ich dran war, wurde ich offenbar als „weniger verdächtig“ betrachtet und in einen kleineren Stall neben dem nebenliegenden Stall, wo die Gerichtsgefängnisinsassen lagen, eingewiesen. Etwa 30 Buben waren bereits dort drin. Der Stall war voller faulendem Mist und faulenden Feldrüben, die wir vor Hunger gegessen haben.
Am späteren Tag hörten wir lautes Geschrei vom Kasernenhof her und sahen durch einen kleinen Ritz in der Stalltür, wie eine große Anzahl Männer durch das südliche Tor der Kaserne getrieben wurde und sich in Richtung Egergelände bewegte. Darunter erkannte ich noch meinen Vater. Das war das letzte Lebenszeichen von ihm. Am nächsten Tag kursierten Gerüchte, dass sich alle diese Männer ihre eigenen Massengräber an der Eger in Richtung Levanitz hatten schaufeln müssen und dann der Reihe nach mit Maschinengewehren niedergeschossen und getötet worden waren. Auf der langen Liste der über tausend von Tschechen ermordeten Sudetendeutschen des Kreises Saaz findet sich sein Name heute unter der Nummer 846.
Später erfuhren wir, dass bei diesem Gemetzel etwa 750 Männer erschossen wurden. Bei einem meiner späteren Besuche in Postelberg wurden mir von damaligen tschechischen Bewohnern die Stellen der Massengräber gezeigt. Am späteren Nachmittag wurde plötzlich unsere Stalltür aufgetreten und vier, mit Peitschen und MPs bewaffnete Tschechen stürmten herein. Dabei ist einer der Peiniger über einen Wassereimer, der sich an der Innentür befand, gestürzt. Dabei hatte er sich in seinen Fuß geschossen. Das nahmen die anderen zum Anlass, in unserem Raum eine Salve mit der MP abzugeben und es wurden fünf Buben in Arme und Beine getroffen. Eine wüste Peitschenorgie folgte. Wir mussten uns dazu nackt ausziehen. Sie schrieen, dass wir alle erschossen würden und trugen den verwundeten Tschechen hinaus. Sie kamen aber nicht zurück. Deshalb kleideten wir uns nach einigen Stunden wieder an.
6. Juni 1945
Der Tag war ein einziges blutiges Chaos. Er begann damit, dass wir in unserem Stall Morgensport treiben und uns gegenseitig Boxhiebe versetzen mussten. Die Peiniger haben dabei immer wieder mit Gewehrkolben auf uns eingeschlagen. Anschließend wurden wir zu den Leuten in den großen Stall hineingepfercht und sahen grausame Bilder, die uns unvergesslich blieben. Alle Männer dieses Stalles waren rot und blau geschlagen, viele hatten eingeschlagene Stirnen, abgeschlagene Ohren und leere Augenhöhlen. Alle vollen Stunden kamen die Henker zurück und setzten ihr grausames Handwerk fort. Nun wussten wir, dass der Name dieses Stalles, nämlich „Todesblock“, voll berechtigt war. Dieses Treiben mussten wir bis zum Abend mit ansehen, dann wurden wir Buben wieder in unseren Stall zurückverlegt.
7. Juni 1945
Wir wurden Zeuge der Ermordung von fünf Buben, die an einer Scheune starben. Verlegung in einen großen Stall, voll gestopft mit etwa 500 Personen. Sitzend mit angewinkelten Füssen mussten wir ausharren und haben so die Nacht verbracht. Unsere Notdurft konnten wir nur im Sitzen verrichten, sodass Ungeziefer massenhaft über uns fiel. Beim geringsten Laut nach draußen wurde gleich scharf in unseren Stall hineingeschossen. Später haben einige von uns den Versand verloren. Wir wurden mit Trinkwasser von den Splittergräben versorgt, mit Leichengeschmack und modrig.
8. Juni 1945, Tag der „Heimkehr“
Wir hatten mit den letzten Kräften unseren Kerker reinigen müssen. Dann wurden wir in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine wurde nach Brüx ins Kohlenrevier in Marsch gesetzt und in das berüchtigte Lager 28 eingewiesen. Meine Gruppe wurde nach Saaz zurückgetrieben. Darunter war auch ich. Während des Rückmarsches wurden wir dauernd mit Peitschen angetrieben. In Saaz angekommen wurden wir in das Schießhaus gebracht.
In den Tagen danach
In den nächsten Tagen mussten wir uns öfters in der heißen Sonne an den Mauern aufstellen und die Hände hoch halten bis wir nicht mehr konnten, dann erhielten wir Gewehrkolbenschläge auf Kopf und Rücken. Beim täglichen Morgenappell wurden wir zu Zwangsarbeit eingeteilt. Viele kamen in die Kohlegruben nach Kladno bei Prag, bei wenig Essen und Trinken. Meine Mutter und Schwester mussten Mitte Juni die Wohnung verlassen und waren gezwungen, die Wohnungsschlüssel abzugeben. Sie wurden in die ehemalige SS-Kaserne in Saaz verbracht. Dort haben sie schreckliche Dinge erlebt. Doch endlich, das Ende unserer Leidenszeit nahte. Im Januar 1946 durften wir uns zur Vertreibung melden und hatten das Glück, beim zweiten Transport nach Bayern dabei zu ein. Am 14. Februar wurden wir in der SS-Kaserne auf den Transport vorbereitet. Die Tschechen sagten uns immer wieder, dass wir uns umschauen werden in Deutschland: „Da fressen sich die Leute vor Hunger gegenseitig auf.“
21. Februar 1946 – der Tag unserer Vertreibung
Wir haben die Kaserne endlich verlassen und marschierten zum Güterbahnhof von Saaz. Es waren hauptsächlich alte Männer, Frauen und Kinder. Die anderen Männer wurden zur weiteren Zwangsarbeit behalten oder wurden, wie berichtet, erschossen. Unser Marsch zum Güterbahnhof wurde von gröhlenden tschechischen Erwachsenen und Kindern begleitet. Wir wurden angespuckt und mit Ausrufen wie „deutsche Schweine“ bedacht. Teilweise bewarfen sie uns mit Pflastersteinen. Am Bahnhof wurden wir in 45 Viehwaggons aufgeteilt. In keinem der Waggons war ein gebrauchsfähiger Ofen eingebaut. So haben wir diese erneute Schikane der Tschechen erfahren und frierend im Güterzug bei etwa 18 Grad Kälte unsere Heimatstadt verlassen. Die Fahrt ging über Pilsen nach Furth im Wald. Vor der Grenze wurde unser Transportzug noch ein letztes Mal gestoppt. Wir mussten die Waggons verlassen und unsere letzten Habseligkeiten wurden von den Tschechen noch einmal durchsucht und teilweise geraubt. Dann haben wir unsere weißen Armbinden abgenommen und sie den Tschechen vor die Füße geworfen. So fuhren wir endlich in die Freiheit!
Die Hauptpeiniger und Mörderbuben
Schließlich möchte ich die Namen unserer Hauptpeiniger und Mörderbuben bekannt geben, soweit es aus meinem Erinnerungsvermögen noch möglich ist:
1. Der Postelberger und Saazer Lagerkommandant war Kapitän Josef Marek, ein gelernter Schuster und früherer Polizist in Postelberg/Böhmen.
2. Seine Mordhelfer waren Pawel und die Brüder Petroluk.
Die geschilderten schrecklichen Vorgänge habe ich persönlich erlebt und als Zeitzeuge bereits am 20. Februar 2006 aufgeschrieben.
Gerhard Skalla
Gunzenhausen/Bayern